Regel 30 – Der Schlafplatz des Katers ist das Gewächshaus.

A.W. Benedict

By A. W. Benedict

Undurchdringliche halbgeschlossene Katzenaugen fixierten den Gärtner. Mortecai lag auf dem Tisch zwischen den Töpfen. Mr Herringbone lief geschäftig von einer Seite des Gewächshauses zur anderen und trug Töpfe mit neuen Pflanzen herum. Mortecai hatte nie verstanden, was dieser Zweibeiner da tat. Dieses Grünzeug schmeckte nicht. Mortecai hatte es probiert.

Der graue Kater mit dem glänzenden Fell wartete. Er wusste, wenn der alte Gärtner so in Eile zu sein schien, würde er irgendwann ins große Haus gehen.

Mortecai sollte nicht enttäuscht werden. Geschickt schlüpfte er mit dem Gärtner durch die Glastür hinaus und folgte ihm. Vielleicht war ja heute etwas Interessantes zu erkunden.

Junior, der Beagle und eingeschworene Feind Mortecais, war nirgends zu sehen. Der Kater setzte vorsichtig eine Samtpfote vor die andere und hatte die Schnurrhaare auf Empfang gestellt.

Der alte Gärtner hatte beide Hände voll, also öffnete er die Vordertür mit dem Ellenbogen und Schwupps war Mortecai im Haus. Das lief ja wunderbar.

Der strenge Butler Beanstock war zum Glück mit dem Wagen fortgefahren. Mortecai hatte ihn auf seinem morgendlichen Streifzug gesehen. Wenn dieser Zweibeiner im Haus war, hatte der Kater keine Chance hineinzukommen.

Herringbone hatte die Blumentöpfe abgestellt und ging zur Tür, um sie zu schließen. Mortecai beobachtete ihn von der Treppe aus.

Heute hatte das graue Tier unglaubliches Glück. Die Verbindungstür zum Dienstbotentrakt stand auf. Mortecai konnte sehr leise laufen. Das würde dieser tapsige laut hechelnde Junior niemals schaffen. Der Beagle war auch viel zu artig, dachte sich Mortecai. Artig sein ist so langweilig.  In einem der Zimmer kramte jemand herum. Der Kater lief auf das neue Geräusch zu und schaute um die Ecke der Tür. Dieses neue Kind war in seinem Zimmer und suchte im Schrank etwas. Sie war vollkommen konzentriert und flüsterte Worte dabei.

„Wo zur verdammten Hölle, gut das Mr Beanstock nicht da ist, also wo zur dreimal verdammten Teufelshölle ist dieses Buch geblieben?“ Ein Stapel Taschentücher flog aus der offenen Schranktür und das Kind krabbelte noch etwas tiefer in den Schrank hinein.

Vom Flur näherten sich Schritte. Mortecai schlüpfte unter das Bett.

„Luci, wo bleibst du denn. Du sollst dich in der Küche an den Tisch setzen und lesen. Mr Beanstock hat genaue Instruktionen gegeben. Deine Hausarbeiten lassen in letzter Zeit zu wünschen übrig. Du solltest dieses Buch bereits am letzten Wochenende ausgelesen haben, oder? Also junge Dame, wo ist das Buch!“, sagte Mrs Argyle ungehalten und verschränkte die Arme.

Luci tauchte aus dem Schrank auf und hielt das Buch hoch.

„Hab es!“, rief sie fröhlich, lief in Windeseile an der Hausdame vorbei und man hörte ihre trommelnden Schritte auf der Treppe.

Mrs Argyle schüttelte den Kopf. Aber sie lächelte.

Als Mortecai die Tür ins Schloss fallen hörte, kam er unter dem Bett hervor und sah sich um. Essen gab es hier wohl nicht. Das hätte er schon längst erschnuppert. Aber eine sehr bequeme Schlafgelegenheit erwartete ihn. Denn nach Essen war tagsüber das Größte für diesen Kater, ein weiches Bett um zu schlafen. In der Nacht, wenn der Mond am Himmel stand, musste man auf Erkundungstour gehen. Dann konnte man nicht schlafen. Niemand hielt die Mäuse so gut in Schach wie Mortecai. Er war eine Berühmtheit in der Mäusewelt. Junior dagegen? Was konnte dieser Hund schon außer rumschnüffeln, bellen und sich kraulen lassen.

Mortecai sprang auf die weiche Decke, drehte sich einige Male im Kreis, das hatte er bei Junior gesehen, verstand es zwar nicht, aber man konnte nie wissen. Dann legte er sich wohlig schnurrend auf die Seite und genoss seinen wundervollen Tag. 

Unten vor dem Haus schlug eine Autotür zu. Dem Kater war das nur ein Wackeln seines buschigen Schwanzes wert. Wenn er wüsste, welches Unheil auf ihn zukam, würde sein Schwanz steil nach oben stehen und die Barthaare würden zittern. Aber er hörte die Schritte auf der Treppe nicht. Er hörte nicht das Öffnen der Tür. Sein Fluchtinstinkt kam eine Sekunde zu spät.

„Mortecai vom Bett, aber hopp und sofort aus dem Haus!“, rief Mr Beanstock und sein ausgestreckter Finger ließ keine Widerrede zu. Wie konnte dieser Zweibeiner so leise sein und wieso kam er ausgerechnet jetzt in dieses Zimmer? Hatte der etwa auch Antennen am Mund?

 

Mit einem Riesensatz sprang der Kater mauzend vom Bett und nahm die Kurve zum Flur fast fliegend. Das Mauzen hätte er lassen sollen.

Damit brachte er seinen Lieblingsfeind Junior in die Geschichte. Der Beagle kam aus dem Bootroom gerannt und jagte dem Kater hinterher. Die Haustür war geschlossen, also preschte Mortecai durch den Salon. Ein Runde mit Junior später waren auf dem Klavier die Bilder umgefallen und die gute Vase von Sir Percivals Großmutter bekam eine gefährliche Schieflage. Zum Glück war Lizzy gerade beim Staubwischen und fing sie auf.

Weiter ging die wilde Jagd. Inzwischen war der Butler bei diesem Tanz dabei und rief laut nach der Hausdame.

„Mrs Argyle! Die Tiere!“

Die Tür zum hinteren Dienstbotenbereich, somit auch zur Küche, flog auf. Mrs Argyle konnte gerade noch zur Seite springen. Mit einem Piepser schlang sie die Arme um eine Säule des Kamins, der sich neben der Tür befand.

Mortecai war es recht. Die Küche war ein gutes Ziel für eine Jagd. Er musste nur diesen Beagle loswerden. Im Flur schlug er deshalb erst einmal ein paar Haken. Der Hund schaffte das nicht und rutschte aus. Ein jämmerliches Jaulen kam unter einem Konsolentisch hervor, unter dem Junior nun feststeckte. 

Mortecai hatte das Paradies erreicht. Die Küche mit all den wundervollen Gerüchen. Was sollte sich Mortecai zuerst schnappen. Auf dem Tisch in der Mitte stand ein duftender Kuchen, daneben lagen Würstchen auf einer Platte und der Hochgenuss an sich, aus einer Schüssel ragten Fischschwänze heraus.

Bevor sich der Kater entscheiden konnte, schob sich eine Gestalt zwischen ihn und die Köstlichkeiten. Mrs Porkpie stand mit hoch erhobenem Löffel vor ihm und drohte. Das war dann wohl nichts.

Die Hintertür wurde geöffnet und der Hausknecht Mr Harrison erschien mit einem Korb frischer Äpfel. Igitt Äpfel, gar nicht lecker.

Junior hatte sich befreit und rannte durch die Küchentür. Er konnte nicht mehr bremsen und Mr Harrison schwankte wie ein Zweig hin und her. Äpfel ergossen sich auf den Küchenboden, Harrison bückte sich danach, Mrs Porkpie stieß sich den Kopf an der Tischkante, als sie ihm helfen wollte, Mrs Argyle kam gelaufen und rutschte auf dem Apfelmatschboden aus, Luci hatte ihr Buch zur Seite gelegt und versuchte den Kater zu fangen, einen Kratzer später, weinte das Mädchen und nun erschien endlich der Butler auf dem Schlachtfeld.

Er half Mrs Argyle auf, schob den Kater aus der Tür, wies Luci mit dem Finger zurück zu ihrem Buch, reichte dem Mädchen dabei ein Taschentuch für die Tränen, schickte Phillis, das Küchenmädchen, nach einem Pflaster für die Köchin und ging dann in den hinteren Küchengarten. Dort kümmerte sich der Gärtner im Moment um die Läusekolonie auf den Tomaten.

„Mr Herringbone!“, rief Beanstock. „Regel 30: Der Schlafplatz des Katers ist das Gewächshaus!“

Hinter dem Gärtner erschienen ein sich windender Schwanz und das unschuldige Gesicht Mortecais.

„Jawohl Mr Beanstock, schon klar“, antwortete der Gärtner und streckte seinen schmerzenden Rücken durch.

Beanstock warf einen letzten tadelnden Blick auf Mortecai und ging zurück ins Haus.

Der Gärtner setzte sich auf eine Kiste neben dem Beet, nahm seinen geliebten Kater auf den Schoß und kraulte ihn ausgiebig.

„Na Mortecai, du kleiner Teufel? Hattest du einen schönen Morgen? Hast Spaß gehabt oder? Na komm, wir gehen ins Gewächshaus auf eine Tasse Milch und einen Hering. Was denkst du?“

Mortecai mauzte zustimmend und strich mit seiner Samtpfote über sein Barthaar.

 

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Die Beanstockreihe - bisher erschienen

Beanstock - Mord auf Parsley Manor

Mord auf
Parsley Manor

Beanstocks erster Fall:
Ein untergetauchter Spion und eine geheimnisvolle Mordserie.

Beanstock - Das Gänseblümchenkomplott

Das Gänseblümchenkomplott

Beanstocks zweiter Fall:
Eine Selbstmordserie in London und eine geheime Dienstbotenverbindung.

Die Barke des
Teremun

Beanstocks dritter Fall:
Ein geheimnisvoller Skarabäus und eine skrupellose Grabräuberbande